In der Kinder- und Jugendhilfe: Viel Spielraum
für neue Ideen
28.09.2023 Kinder- und Jugendhilfe
Als Bereichsleiter von vier Wohngruppen im Frère-Roger-Kinderzentrum Augsburg kümmert sich Michael Wagner um die Belange der Kinder und Jugendlichen, die dort wohnen wie auch der Mitarbeitenden. Zu vermitteln und zu schauen, was gebraucht wird, gehört zu seinen zentralen Aufgaben.
Das Kinderzentrum in Augsburg nimmt Kinder und Jugendliche, die aus unterschiedlichen Gründen nicht zuhause wohnen können, für einen begrenzten Zeitraum bei sich auf. Michael Wagner hat im April 2023 die Bereichsleitung für vier Wohngruppen mit dem Schwerpunkt Autismus und Bindungsstörungen übernommen: „Ich organisiere im Prinzip alles, was um die Wohngruppen herum passiert“, sagt er. Neben Büroarbeit gehören zu seinem Job Aufgaben wie den Kontakt zu Jugendämtern pflegen, bei Krisen zu vermitteln und Netzwerkarbeit zu betreiben, das heißt alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen. Außerdem stellt er sicher, dass bestimmte Standards beispielsweise im Umgang miteinander oder die Hygiene betreffend bei der Betreuung eingehalten werden. Und er überlegt sich im engen Austausch mit den Gruppenleitungen, wie das Leben in den Wohngruppen noch besser gestaltet werden kann und was es dafür braucht: „Ich gehe darin auf, neue Konzepte, neue Ideen zu entwickeln. Das macht mir einfach Spaß.“
Reflektieren ist das A und O
Michael Wagner arbeitet bereits seit mehr als 24 Jahren in der Kinder- und Jugendhilfe. Nach seiner Ausbildung zum Erzieher war er lange Zeit fest in einer Wohngruppe tätig, wo er den Alltag mit den Kindern und Jugendlichen gestaltete. Er erstellte Hilfepläne, in denen gemeinsame Ziele in Hinblick auf ihr Verhalten oder auch ihre Ausbildung vereinbart wurden, besprach mit ihnen und deren Eltern, welche Unterstützung sie dafür brauchten und half ihnen, ihre Freizeit zu strukturieren. Nach einem berufsbegleitenden Studium ließ er sich zusätzlich zum Trainer für demokratische Bildung und zum Medienpädagogen ausbilden, um danach gezielter in diesen Fachbereichen tätig zu sein.
Das eigene Verhalten immer wieder zu hinterfragen, hält Michael Wagner für eine der wichtigsten Eigenschaften in der Kinder- und Jugendhilfe: "Man ist eine Vertrauensperson, die viel mitbekommt und auch vermitteln muss. Das geht nicht immer ohne Konflikte. Die eigenen Überzeugungen und Einstellungen zu hinterfragen, hilft mir dabei, ein guter und verlässlicher Ansprechpartner zu sein."
Weiterbilden und im Team arbeiten
Regelmäßige Weiterbildungen tragen dazu bei, dass er und sein Team, besser mit den Herausforderungen umgehen können, die die Arbeit mit sich bringt: „Es gibt viele sensible Stellen in unserem Bereich, wo es im Umgang schwierig wird. Deshalb ist Weiterbildung überlebenswichtig“, erläutert er. „Wir haben zum Teil Kinder, die können ihr Verhalten uns gegenüber nicht so gut kontrollieren und spucken uns zum Beispiel an oder schlagen um sich. In diesem Fall hilft ein professionelles Deeskalationsmanagement, das die Mitarbeitenden durchlaufen. Dabei lernen sie, Aggressionen umzulenken.“
Teamarbeit ist in seinem Beruf ebenso zentral wie spontan zu reagieren: „Flexibilität ist besonders wichtig, weil man im Umgang mit den Kindern und Jugendlichen gedanklich schnell umschalten muss und bei den Diensten zeitlich beweglich sein sollte“, erzählt Michael Wagner. „Ohne das Team geht es nicht: Man muss sich einfach aufeinander verlassen können.“ Er selbst kennt viele seiner Kolleginnen und Kollegen durch seine vorherige Tätigkeit, mit einigen ist er befreundet. Von einer in die andere Rolle zu wechseln, fiel ihm nicht schwer. „Ich finde es super, als Führungskraft zu arbeiten und kann gut verschiedene Hüte aufsetzen“, sagt er.
„Man ist eine Vertrauensperson, die viel mitbekommt und auch vermitteln muss. Das geht nicht immer ohne Konflikte. Die eigenen Überzeugungen und Einstellungen zu hinterfragen, hilft mir dabei, ein guter und verlässlicher Ansprechpartner zu sein."
Eigene Ideen einbringen
Die jungen Menschen werden von Erzieherinnen und Erziehern, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen oder Therapeutinnen und Therapeuten begleitet. In regelmäßigen Teamsitzungen mit den Gruppenleitungen informiert sich Michael Wagner über die aktuelle Situation in den Wohngruppen. Er bespricht, was gebraucht wird und welche Ideen Mitarbeitende haben. Bei der Freizeitgestaltung mit den Kindern und Jugendlichen besteht viel Spielraum – jede und jeder kann sich mit seinem Wissen und seinen Vorlieben einbringen: „Eine Kollegin hatte zum Beispiel unglaubliches Wissen über Kinder- und Jugendliteratur. Sie hat viele großartige Bücher mitgebracht.“
Treffpunkt für den Austausch
Da viele Kinder und Jugendliche hauptsächlich individuell betreut werden, hat Michael Wagner selbst die Campus-Werkstatt ins Leben gerufen: „Das ist ein offener Raum für Gruppen, den die Kinder und Jugendlichen, aber auch die Mitarbeitenden nutzen können, um eine Idee zu verwirklichen“, erläutert er den Ansatz. Neben einer Medienecke mit einer digitalen Tafel, Laptops und Kameras gibt es Infomaterial, das vor allem die Mitarbeitenden für ihre Veranstaltungen verwenden. Dazu gehören Bücher zu Themen wie beispielsweise das Ausbilden sozialer Fähigkeiten und sexuelle Bildung oder zur Demokratieerziehung und zu Entwicklungsstörungen bei Autismus. Der Heimrat, der sich aus gewählten Vertreterinnen und Vertretern von Kindern und Jugendlichen zusammensetzt, nutzt die Campus-Werkstatt, um gemeinsame Projekte zu planen – beispielsweise eine Party oder eine Veranstaltung zum Thema „Meine Rechte in meinem Zimmer“. Genauso sind Mitarbeitende dazu aufgerufen, den Raum mit eigenen Themen zu bespielen. „Die Campus-Werkstatt ist ein Herzensprojekt von mir“, erzählt der Bereichsleiter. „Ich begleite den Raum konzeptionell, das heißt ich schaue, was aktuell in den Gruppen los ist und welche Angebote passen könnten. Ich selbst biete zweimal im Monat einen Termin an, bei dem ich mit den Jugendlichen über Demokratie und Selbstbestimmung rede. Außerdem koordiniere ich die Angebote.“
„Wenn die Jugendlichen ihr Ziel erreichen, ist das nicht unser, sondern ihr Verdienst.“
Mut für den eigenen Weg
Das Kinderzentrum möchte Kinder und Jugendliche darin bestärken, ihren eigenen Weg zu finden. Im Fokus stehen die betreuten Kinder und Jugendlichen. Sie lernen eigenständig Entscheidungen zu treffen, die für sie persönlich gut sind. Diese müssen nicht unbedingt den Vorstellungen der Eltern entsprechen. Deshalb ist auch das Vermitteln so wichtig. „Wir sind keine Ersatzfamilie, sondern wir ergänzen die Familie und unterstützen sie dabei, ihre Herausforderungen in den Griff zu bekommen“, betont Michael Wagner. „Wir sind phasenweise Begleiterinnen und Begleiter und unterstützen die Jugendlichen bei ihren Plänen und beim Lösen von Problemen. Wenn die Jugendlichen ihr Ziel erreichen, ist das nicht unser, sondern ihr Verdienst.“ Michael Wagner erinnert sich an einen Jungen, der am Ende seiner Zeit in der Wohngruppe ausgesprochen hat, was er machen möchte, obwohl es gegen den Willen der Eltern war. „Er ist nur kurz unsicher geworden. Aber dann hat er gelächelt und ich habe gesehen: Jetzt ist er ganz bei sich angekommen und weiß, wohin es gehen soll. Das sind die Gänsehautmomente in unserem Beruf.“