Heilerziehungspflegerin – ein Beruf, der sinnvoll ist
und Freude bereitet
29.07.2022 Behindertenhilfe
„Ich komme jeden Tag gern zu Arbeit und mache endlich etwas Sinnvolles“, sagt Daniela Pitzk-Cuénod. Die 51-Jährige ist Quereinsteigerin aus der Modebranche und arbeitet heute in den Südbayerischen Wohn- und Werkstätten für Blinde und Sehbehinderte als Heilerziehungspflegerin.
In der Eingangshalle zu den Südbayerische Wohn- und Werkstätten für Blinde und Sehbehinderte gGmbH (SWW) in München plätschert ein großes Aquarium. An den Wänden der Halle sind gewellte grüne Keramikfliesen angebracht, die eine Leitlinie bilden, die zur Orientierung durch alle Flure führt. Die Türen sind rot in einem blauen Ramen. „Unsere Klientinnen und Klienten sind blind und sehbehindert, viele können aber noch etwas erkennen, wenn die Kontraste stark genug sind“, erläutert Kunigunde Frey die Wahl der Farben. Die Leiterin der Werkstatt und Förderstätten der Einrichtung fügt hinzu, dass das Aquarium ebenfalls Orientierung durch Geräusche und Geruch gebe. „So können sich unsere Klientinnen und Klienten hier leichter eigenständig und sicher bewegen.“
Die 53-Jährige arbeitet bereits seit 25 Jahren in der SWW. Die studierte Sozialpädagogin hat in der Arbeit mit mehrfachbehinderten Menschen ihre Berufung gefunden: „Das war die beste Entscheidung meines Lebens, das Sinnvollste, was mir passieren konnte.“ Seither versuche sie mit ihren 60 Mitarbeitenden für diese Menschen so viel Normalität wie möglich zu schaffen. Dabei lässt sie den Angestellten sehr viel Freiheit, damit sie ihre Kreativität entfalten können. „Meine Aufgabe als Führungskraft ist, andere Menschen im Herzen zu erreichen, damit sie ihre Arbeit von Herzen machen“, sagt Kunigunde Frey. Die Stimmung im Team bestätigt sie. Überall in der Einrichtung wird viel gelacht, der Umgang ist herzlich und zugewandt.
Von der Modebranche zur Behindertenhilfen
Zum Team gehört auch Daniela Pitzk-Cuénod, die in der Werkstatt-Förderstätte als Heilerziehungspflegerin mit mehrfachbehinderten Blinden und Sehbehinderten arbeitet. Die studierte Modedesignerin vertrat zuletzt eine Agentur für Modefotografen. „2015 hatte ich eine Krise, mir kam meine Arbeit extrem sinnlos vor“, erzählt sie in der Pause im Garten der SWW neben dem Klangbrunnen, der das Plätschern eines Baches simuliert und auf Wunsch auch Vogelgezwitscher. Drei Jahre habe sie sich noch gequält, dann habe sie, unterstützt von ihrem Mann, eine halbjährige Auszeit genommen, um herauszufinden, was es sonst noch gibt. Erst sollte es in Richtung Kunsttherapie gehen, dann entschied sie sich für Heilerziehungspflege. „Ich habe hier bei der SWW hospitiert, das hat mir so gut gefallen, dass ich zunächst ehrenamtlich weitergearbeitet habe“, erzählt die Mutter einer 15-jährigen Tochter. 2019 absolvierte sie die zweijährige Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin und bekam von Frey eine 30-Stunden-Stelle in der Förderstätte angeboten. „Ich wollte etwas Kreatives und etwas Pädagogisches machen und hier kann ich mich richtig austoben“, erzählt sie.
In der hellen Förderstätte arbeitet eine kleine Gruppe mehrfachbehinderter Blinder und Sehbehinderter, die der Arbeit in der Werkstatt nicht gewachsen wären. „Jede Person hier hat eigenen Stärken und Interessen, auf die wir individuell eingehen“, erzählt Daniela Pritzk-Cuénod. Da in der Förderstätte nichts produziert werden muss, hat sie Spielraum und kann in Ruhe herausfinden, welche Aufgaben den dort Tätigen Freude bereiten. Erst im zweiten Schritt wird überlegt, was mit dem Produzierten anzufangen ist – „dabei kommt mir meine Kreativität sehr zugute“, sagt die Heilerziehungspflegerin mit einem Lächeln.
Förderung von mehrfachbehinderten Blinden und Sehbehinderten
Am ersten Tisch arbeitet Angelika, die zu ihrer Sehbehinderung noch spastisch gelähmt ist. Sie macht Perlentierchen mit komplizierten Mustern, die als Schlüsselanhänger im Shop der Einrichtung verkauft werden. „Sie kann alle komplizierten Muster auswendig“, merkt Daniela Pitzk-Cuénod anerkennend an. Im Raum ist auch Jeremias, der noch relativ gut sieht und gerade der Gruppe begeistert vorliest. „Als er zu uns kam, wussten wir nicht, was er gerne machen möchte, nichts hat ihm gefallen. Dann ist mir aufgefallen, dass er sich sehr für Lesen interessiert, es aber noch gar nicht richtig kann. Nun bringen wir ihm Lesen bei und er liest uns Texte vor“, berichtet die pädagogische Fachkraft Pritzk-Cuénod. Zu der Gruppe gehört auch der kontaktfreudige Marco. Er sieht kaum, hilft aber beim Nähen von Kissen und Beuteln an der Nähmaschine. Während Pitzk-Cuénod den Stoff hält und Anweisungen gibt, steuert er das Tempo mit seiner Hand über die Fußtaste und wechselt das Garn. Stolz präsentiert er die Lavendelkissen, die er hergestellt hat.
„Ein wichtiges Prinzip unserer Arbeit ist das Empowerment. Wir ermächtigen die Klientinnen und Klienten, selbständig etwas zu machen und dadurch erleben sie Selbstwirksamkeit in ihrem Handeln. Das gibt ihnen Selbstvertrauen, sie trauen sich selbst etwas zu“, so Daniela Pitzk-Cuénod. „Zum Beispiel kann Marco, obwohl er so wenig sieht, allein einige Wege in der Umgebung zurücklegen. Er geht sogar ins Café und kann dort bezahlen – gar nicht so einfach, weil er das Geld ertasten muss“, berichtet sie. Den Klienten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen, gehöre zum Konzept der Förderstätte. Wie auch die Trennung zwischen den Lebensbereichen Wohnen und Arbeiten. Die Klientinnen und Klienten kommen morgens zur Arbeit und werden nachmittags wieder nach Hause oder ins Wohnheim gebracht.
„Ein wichtiges Prinzip unserer Arbeit ist das Empowerment, dass wir unsere Klientinnen und Klienten ermächtigen, selbständig etwas zu machen, dass wir ihnen das Selbstvertrauen, das Zutrauen geben.“ Pädagogische Fachkraft Daniela Pitzk-Cuénod
Was sich für Daniela Pitzk-Cuénod seit ihrem Berufswechsel geändert hat? „Ich gehe endlich gern jeden Tag zur Arbeit und wir haben wirklich jeden Tag Spaß – das liegt natürlich auch an meinen netten Kollegen und unserem Team hier.“
Die Südbayerische Wohn- und Werkstätten für Blinde und Sehbehinderte gGmbH
Die Südbayerische Wohn- und Werkstätten für Blinde und Sehbehinderte gGmbH hat insgesamt 300 Angestellte, 60 davon arbeiten in der Werkstatt und den Förderstätten. Gesellschafter sind die Blindeninstitutsstiftung Würzburg und der Bayerische Blinden- und Sehbehindertenbund e.V.