Nachgefragt: Was kannst du bewegen?
Felicia hat sich in der 10. Klasse verliebt. Und zwar in ihren heutigen Beruf. Sie arbeitet als Heilerziehungspflegerin in einer Wohngruppe für Menschen mit Behinderung, genauer: mit einer Autismus-Spektrum-Störung. Die Bewohnerinnen und Bewohner haben z. B. Schwierigkeiten, auf andere Menschen zuzugehen und brauchen meist einen sehr geregelten Tagesablauf. Wir sprechen mit Felicia über ihren Job, Gefühle und echte Eisbrecher.
Hallo, ich bin Felicia!
Wie sich Felicia verliebt hat
Felicia, wie bist du in deinem Beruf gelandet?
Das war eher ein Zufall. Wir haben in der 10. Klasse einen Schulausflug in eine Einrichtung der Behindertenhilfe gemacht. Da war für mich sofort klar: Das muss ich machen! Ich hatte einfach ein Gefühl – das oder gar nichts! Ich habe mich richtig verliebt. Nach dem Abi habe ich die Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin in genau dieser Einrichtung gemacht. Hier arbeite ich bis heute in einer Wohngruppe für Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung. Darüber freue ich mich jeden Tag!
Was ist Autismus?
Autismus ist eine Entwicklungsstörung, die häufig als Autismus-Spektrum-Störung (ASS) bezeichnet wird. ASS wird sichtbar
- im sozialen Umgang: Menschen mit ASS fällt es oft schwer, Beziehungen zu anderen aufzubauen.
- in der Kommunikation: Manche Menschen mit ASS vermeiden zum Beispiel den Blickkontakt und/oder bewegen sich anders.
- in Verhaltensmustern: Manche betroffene Menschen reagieren zum Beispiel verärgert, wenn sich vertraute Abläufe ändern. Oder sie richten all ihr Interesse auf ein Thema (zum Beispiel Fahrpläne) und gehen völlig darin auf.
Viele Menschen mit ASS kommen in Alltag, Schule und Beruf gut klar; eventuell brauchen sie in bestimmten Bereichen professionelle Unterstützung.
Felicias Job: immer anders!
Wie sieht (d)ein typischer Arbeitstag aus?
Immer anders. Aber grob so: Wecken, Medikamentenausgabe, Waschen und Anziehen, Frühstück. Dann gestalten wir den Tag mit den Bewohnerinnen und Bewohnern – Spaziergänge, Ausflüge, aber auch Wäschewaschen und Kochen. Viele unserer Klientinnen und Klienten arbeiten auch in unserer Werkstatt.
Was macht deinen Beruf so besonders?
Die Arbeit ist sehr praktisch, das finde ich gut. Und: Meine Klientinnen und Klienten sind unfassbar ehrlich – so etwas findet man nicht mehr oft. Ich habe durch sie wieder gelernt, kleine Dinge zu schätzen: Sie freuen sich zum Beispiel über einen selbst gebackenen Kuchen oder ein Lächeln – das macht mich glücklich. Es macht einfach Spaß, mit ihnen zusammen den Tag zu verbringen und zu sehen, wie gut es ihnen damit geht.
Was lernst du?
Mich selbst zu reflektieren. Das lerne ich von Anfang an und jeden Tag und das hört auch nie auf! Das ist eine unglaubliche Bereicherung. Es passiert einfach, dass man sich und das eigene Verhalten in Frage stellt und überprüft, was Sinn macht und was vielleicht eher unwichtig ist.
Kurz erklärt: „reflektieren“
Wer sich selbst reflektiert,
- nimmt sich selbst und das eigene Verhalten wahr,
- hinterfragt sein Handeln („Warum mache ich das?“, „Warum fühle ich mich so?“),
- kennt sich selbst besser (zum Beispiel persönliche Stärken und Schwächen) und
- kann dadurch bewusster entscheiden und besser auf andere Menschen eingehen.
Gerade in sozialen Berufen und wenn man viel mit Menschen arbeitet, ist die Selbstreflexion wichtig. Denn so hat man seine eigenen Bedürfnisse und die der anderen im Blick.
Felicia hat einen Tipp für dich ...
Was ist dir besonders wichtig?
Dass Inklusion irgendwann selbstverständlich ist! Ich habe letztes Jahr in einem Projekt zu diesem Thema Bekannte in unsere Einrichtung eingeladen. Zu Beginn habe ich ihnen provokante Fragen gestellt, dann haben wir den Tag zusammen mit den Bewohnerinnen und Bewohnern verbracht. Der Effekt war enorm! Am Anfang waren alle etwas verhalten und skeptisch, hatten Vorurteile – am Ende war es ein Selbstläufer: Alle haben sich angeregt unterhalten, es war eine richtig tolle Runde.
Da hast du echt was bewegt!
Es ist gar nicht so schwierig. Ich erlebe das immer wieder: Wenn ich zum Beispiel mit einer Klientin zum Einkaufen gehe, dann schauen die Leute. Und ich merke, sie hätten Fragen. Ich lächle sie dann an und werde tatsächlich oft angesprochen. Mit so einem Gespräch ist dann schon eine kleine Barriere abgebaut – unsere Klientinnen und Klienten sind wirklich absolute Eisbrecher! Man muss sich bewusst machen: Es sind einfach Menschen. Man muss nicht stundenlang nachdenken, wie man ihnen begegnet – man muss sie einfach kennenlernen. So wie alle Menschen.
Wenn ich von meinem Job erzähle, höre ich ganz oft: Wow, das könnte ich nicht. Da bin ich anderer Meinung. Die meisten Menschen können mehr, als sie denken!
Was rätst du Jugendlichen, die eine Ausbildung machen wollen?
Wenn ich von meinem Job erzähle, höre ich ganz oft: Wow, das könnte ich nicht. Da bin ich anderer Meinung. Man muss es einfach ausprobieren und sich mehr zutrauen, denn nur durch die Arbeit und die vielen schönen Momente entsteht dieses Gefühl. Und die meisten Menschen können mehr, als sie denken! Mein Verlobter zum Beispiel hat BWL studiert, heute ist er auch Heilerziehungspfleger. Was er sich am Anfang gar nicht vorstellen konnte, möchte er heute nicht mehr missen. Also: Habt Mut! Traut euch und schaut es euch einfach mal an.